Fachkamera: Plaubel Junior 9×6

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    • #83988

      Moin,

      ich spiele schon länger mit dem Gedanken, mir eine Fachkamera zuzulegen, bei der man auch tilten und shiften kann. Da gäbe es die Plaubel Junior 9×6. Kennt sich hier jemand mit sowas aus und kann mir sagen, ob das eine gute Wahl ist oder man lieber die Finger davon lassen sollte? Für Objektivempfehlungen oder Hinweise, worauf man bei der Objektivwahl achten sollte (Bildkreis?), wäre ich auch sehr dankbar.

    • #83997

      Die Art deiner Frage lässt den Schluss zu, dass du noch keine Erfahrung mit Fachkameras hast. Das macht eine Antwort etwas komplex und geht fast in die Richtung, ob ein gewisses Objektiv gut ist. Ohne Info, was/wo/wie du arbeiten willst, ist es sehr neblig.

      Wenn du dir richtig Arbeit und Mühe machen willst, machst du Fotos auf Planfilm. 6*9 ist eigentlich Rollfilm und geht extrem viel leichter mit 120er-Rollfilmkassetten. Ich habe leichte Rapidkassetten, die ich einfach vor die Mattscheibe einsetzen kann, 10 Fotos am Stück und dann Filmwechsel oder zweite Kassette einsetzen (klappt auch bei Regen und Schnee). Sonst muss man die Mattscheibe abmachen und die Kassette ran bzw. alles mit den Planmagazinen fotografieren, wo du immer nur zwei Fotos machen kannst und alle Fotos einzeln im Dunkeln entwickeln musst. 120er Film ist leicht und günstig zu bekommen, 6*9 Plan ist exotisch. Kassetten für Plan findest du kaum mehr, für Rollfilm ist es einfach. Das gilt aber für ein Linhofsystem, sonst gab es das gar nicht. Die Kassetten müssen zwingend vom Kamerahersteller sein, weil nur dann das Auflagemass stimmt.

      Mein System musste leicht, aussentauglich, kompakt und schnell sein. Deshalb habe ich mich für eine Linhof Technikardan 6*9 (TK 67) entschieden. Die gibt es heute noch neu mit vollem Service und allem Zubehör wie Weitwinkelbalgen und Sucherlupen am Balg. Sowas ist zwingend notwendig, weil das kleine Format kleine Auszüge fordert und Normalbalgen schnell anstehen, sobald du etwas schieben willst. Auf ebay findest du einige günstige Angebote für Systeme. Das System ist verbreitet.

      Plaubel ist exotisch und wenn du nicht viel Ahnung hast und ein vollständiges Set fertig in perfektem Zustand kaufen kannst, bist du verloren, wenn du Zubehör brauchst, das du heute noch nicht auf dem Radar hast.

      Für 6*9 ist ein 100 mm die Standardbrennweite. Weitwinkel ist ein 65 mm, darunter kannst du kaum mehr verstellen (Bildkreis zu klein). Tele ist passend als 180 oder 210 mm. Darüber wird es schwierig mit den Auszügen, weil es keine echten Teles sind mit verkürzter Bauweise sondern die tatsächliche Brennweite als Auszug brauchen plus die Distanz für das Fokussieren.

      Bei Linhof war die Prontorvariante die optimalste. Man konnte von hinten die Objektivwerte und den Verschluss steuern. Mit allen andern Varianten (Copal und Compur) musst du den Verschluss und die Blende öffen für die Einstellungen, dann die Blende schliessen für die Bildbeurteilung und am Ende den Verschluss schliessen und spannen. Wenn du nur wenig schusselig bist, hast du das Foto belichtet bevor du abgedrückt hast. Oder du glaubst ans Foto und hast keines, weil du vergessen hast, den Verschluss zu spannen. Die Skalen sind nur von vorn sichtbar. Alles machbar, aber Arbeit. Die Prontordinger gibt es nur noch gebraucht. Sie sind sehr gut. Neulich habe ich bei meinen 35 jährigen die Verschlüsse messen lassen – zwei perfekt und einer in der Toleranz. Funktionieren wie am ersten Tag.

      Heute bekommst du ein 210 mm Apo-Symmar mit Prontor nachgeworfen, das waren früher über drei Riesen, heute in paar Hunderter. Die gehen aber ausschliesslich auf die Linhof Technikardan. Fast alle alten Objektive sind für 9*12 gerechnet und haben bei Rollfilm einen grösseren Bildkreis als du an der Kamera schieben kannst. Das 210 mm hat etwa 300 mm Bildkreis bei 70 mm Filmdimension. Neue Objekte sind anders. Die sind für digitale Mittelformatbacks gerechnet und haben zu kleine Bildkreise für 120.

      Alle Systeme ausser der genannten Linhof sind nicht wirklich reisefähig. Wenn du die Rohr-Bank abmachen, Balgen weg und die Standarten einzeln in den Koffer packen musst, willst du nur im Studio arbeiten. Bei meinem System kann sogar das Objektiv dranbleiben in der Transportposition, die nicht viel grösser als ein dickes Taschenbuch ist. Die optische Bank ist ein einschiebbares Teleskop, das trotzdem extrem stabil ist. Der Auf-/Abbau der Kamera dauert zwanzig  Sekunden. Ein voll einsetzbares System passt in eine kleine Tenbatasche.

      Die Linhofsysteme neben der Technikardan können die Filmstandarte nicht schieben, müssen ohne Objektiv transportiert werden, können schlecht Weitwinkel (Bank im Sichtfeld) und sind schwerer. Aber sie sind auch kompakt und immer wieder günstig zu bekommen. Ich habe Systeme auf Fotoflohmärkten gesehen für 2500.- mit Ware, die mal fast 30 000.- gekostet hat und trotzdem nicht gekauft wurde. Es gibt heute halt kaum mehr Leute, die damit umgehen können.

      Einfach ein bisschen spielen mit so einem System ist nicht. Das braucht Wissen und das richtige Zubehör. Sonst ist die Freude schnell weg. Wenn du nur tilten und schieben willst, kannst du dir an deine Oly einen Metabones Ultra 0.71 und ein Canon FD 35/2.8 T/S kaufen. Der Ultra ist etwa 500.- bei B+H, das Canon bekommst du für etwa 300.-. Einfacher und günstiger wirst du nie tilten können. Die Kombi entspricht an der Oly einer Standardbrennweite.

      Was machst du mit den Fotos? Rollfilm für Schwarzweiss ist einfach zu entwickeln und es gibt heute Startersets mit allem. Bei Ars-imago findest du alles Notwendige. Aber man muss das wollen. Die Negis kannst du mit der Oly abfotografieren. Dazu brauchst du das FT 50 /2 oder das mft 60 / 2.8, ein Stativ und das Variokit von Kaiser (Filmbühne und Leuchtpult). Die andern Systeme verdecken die Negi-Nummern, was dir die Nerven raubt.

      Alte Plaubel brauchen eine Revision. Bei Linhof kannst du alles nach München senden und es wird heute noch gemacht. Meine habe ich noch nie revidiert und sie funktioniert noch tadellos.

      Damit du siehst, was ich mit heute günstig meine: Eine TK 67 (so heisst sie korrekt) war vor 35 Jahren 5000.-, das 100 mm mit Prontor 2500.-, das 210 mm oder 65 mm 3200.-, der Weitwinkelbalgen 400.-, eine Rapidkassette 1200.-, Balgensuchlupe 550.-. Plus Stativ, Einstelltuch, Drahtauslöser, Handbelichtungsmesser (Gossen Multisix). Objektive ohne Prontor mit Compur pro Objektiv minus 1000.-, Montageplatte und Montagekosten nicht vergessen ohne Prontor.

      Als Kamera geht auch eine Technikardan 45. Man kann Rollfilme gut verwenden damit. Sie ist wenig grösser und ein paar Hundert Gramm schwerer, ist aber ev. leichter zu bekommen als eine TK 67. Das Zubehör ist preislich im gleichen Bereich wie zur TK 67.

      Für weitere Infos müsstest du schon genauer angeben, was du wirklich vorhast. Nur zum Spielen wirst dir kein System Freude machen, wenn du dich nicht einarbeiten willst und nur wenig Spielgeld hast.

      Such mal nach „Verstelltechniken bei Grossformat“. Google bringt dir eine sehr gute, günstige Broschüre mit vielen wichtigen Infos. Dort wird auch die Technikardan beschrieben. Eine bessere Einführung in die Grossformatfotografie findest du nicht. Ein Exemplar gibt es bei medimops. Das Plaubel Handbuch der Grossformatfotografie ist sehr technisch und enthält keine Anfängertips sondern Formeln.

       

       

      • Diese Antwort wurde geändert vor 4 Monaten von Klick.
      • #83998
        rwadmin
        Cheffe

          Wow. Auch wenn ich nicht gefragt habe – toller Beitrag. Ich bin begeistert.

        • #84009

          Ich bin auch begeistert, vielen Dank! Das ist reichlich Input, den ich noch nicht 100% verarbeitet habe, aber:

          Ja, stimmt, ich habe noch keine Erfahrung mit Fachkameras. Ich habe keine konkrete Vorstellung, was ich damit würde fotografieren wollen. Der Plan war eher, mit einer Plaubel zu experimentieren und Erfahrungen zu sammeln. Ich will nicht »nur ein bißchen tilten und shiften« sondern lernen mit so einer Kamera umzugehen, mit dem vollen Format, also analog, nicht digital. Das Entwickeln des Films sollte in einem Labor möglich sein (ich kenne eines, von dem ich meine KB-Filme entwickeln lasse), würde ich aber vor Anschaffung natürlich erst kontrollieren.

          Ich bekäme für die Paubel sowohl Kassetten für Rollfilm als auch für Planfilm.

          Der Hinweis auf die Bedienung der Objektive und den sich daraus ergebenden Arbeitsablauf ist gut, danke!

          Bei der Plaubel kann man alles montiert lassen (Bank, Balg, Standarten, Objektiv usw.) und das ganze System in einen Koffer packen. Man muß es nur noch herausnehmen und auf ein Stativ setzen, ggfs. das Objektiv wechseln.

          Ich glaube, bei der Plaubel kann man die Objektivstandarte nur schieben. Vielleicht noch drehen, aber nicht kippen.

          Ich bin mir noch nicht ganz sicher, aber ich glaube, ich werde das Abenteuer zum einen verschieben, aus Zeitgründen, und zum anderen doch nicht mit einer Plaubel Junior wagen. Ich habe das Gefühl, daß das nicht die Kamera wäre, bei der ich am Ende bleiben würde.

          Nochmal vielen Dank für den sehr ausführlichen Beitrag!

          • Diese Antwort wurde geändert vor 3 Monaten, 4 Wochen von knurz.
      • #84011

        Wenn du dir meine Broschürenempfehlung ansiehst, weisst du danach sicher mehr. Herausgeber ist zwar Linhof, aber die Infos kannst du mit jeder Kamera nutzen. Verstellungen und die Theorie dazu werden ausführlich erklärt.

         

        Im Forum Grossformatfotografie hat es viele Themen zur Plaubel. Die 6×9 ist nicht vollverstellbar und die Kassetten werden beklagt: Lichtdichte und Schärfemangel durch Auflagefehler. Eine Linhof Technika kann viel mehr und ist manchmal sehr günstig zu bekommen. Einige schreiben, man solle 6×9 meiden und grösser anfangen. Diese Meinung teile ich gar nicht. Mit dem richtigen Zubehör ist das Rollfilmformat sehr gut zu bedienen und die Resultate plätten fast alles, was es heute am Markt gibt, solange man nicht grösser als 1 m printen lässt.

         

        Ich hatte selber viel Hilfe auf meinem Fotoweg. Deswegen helfe ich auch anderen. Mein Angebot: komm her und schaue dir an, was so auf dich zu kommt und was eine gute Fachkamera alles kann. Analoge Canons mit dem Tiltobjektiv sind auch da. Ich wohne im Grossraum Zürich/CH. Reinhard hat meine Mailadresse. Ich verkaufe nix, du kannst also nur mal gucken und rumspielen unter fachkundiger Anleitung. Gibt es sonst nirgends.

        • #84028

          Vielen Dank für das Angebot! Ich wohne im Süden Bayerns, da wäre Zürich noch in Reichweite. Ich habe das Thema Fahckamera erst einmal etwas weiter nach hinten gerückt, weil ich eine ellenlange Liste anderer Projekte habe, die ich seit Jahren angehen will, aber wenn ich mich dann ernsthaft damit auseinandersetze, komme ich vielleicht auf dein Angebot zurück. 😉

          plätten fast alles, was es heute am Markt gibt

          Ist das, was es heute am Markt gibt, alles digital, oder worauf beziehst du dich damit?

      • #84031

        „Plätten fast alles“: Ich habe von 6*7 Dias aus der TK 67 Ilfochrome-Prints bis 50*60 cm aus dem damals besten Labor (sogar Ilford hat ihre Messeprints dort anfertigen lassen). Diese Prints wurden mit Hochlicht- und Farbmasken erstellt für ein Schweinegeld. Diese Prints übertreffen sogar digitale Fineart-Prints ab digitalem Mittelformat, Oly hat keine Chance. Es sind Matt-Prints von grosser Leuchtkraft und Detailschärfe, die sehr dreidimensional wirken. Ich habe meine Filmwahl damals an das Labor angepasst, da viele Filme kippen, heisst: die Lichter haben einen andern Stich als die Schatten. Ektachrome 100 Plus hat das nicht, ist nicht auf Schärfe gezüchtet und brachte trotzdem die irre guten Resultate, die sich gut verkauften.

        Ich habe mich tief eingearbeitet in die digitale Reprotechnik von Filmen und habe beste Technik hier. Mit digitalen Drucken ab den digitalisierten Mittelformatfilmen komme ich locker an gegen Digicams, egal was. Diese verwende ich heute meistens, weil ich die ganze Verarbeitungskette selber vor Ort habe. Die Hybridgeschichte ist aber mein aktuelles Projekt für Schlechtwettertage.

        Die Linhofobjektive für die Technikardan haben eine Linhofaufschrift, weil sie von Linhof selektiert wurden. Apo-Symmar sind immer gut, die mit „Linhof“ dann halt die besten 10%. Diese Info habe ich direkt von Linhof (ich war mal dort im Testlabor). Vielleicht ist das auch ein Grund, das meine Filme so gut sind.

        „Fast“: ich kenne nicht alles, deshalb die Einschränkung. Exoten wie ChromaLuxe-Fineart sind besser. Das bekommt man aber nur von ganz wenigen Anbietern weltweit zu einem Wahnsinnspreis (1000.- für einen 80*100 cm).

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